Antje Schrupp im Netz

Newsletter vom 21.2.2006

1. »Karikaturenstreit«: Beziehungen statt Relativismus!

Wohl selten ist das Versagen der politischen Prinzipienreiterei so sichtbar geworden, wie im gegenwärtigen »Karikaturenstreit«. Fanatische Deppen auf der einen Seite, hilflose Prinzipienreiter auf der anderen – und sie bringen nichts weiter zustande, als sich gegenseitig die Köpfe einzuschlagen oder butterweich herumzulavieren. »Pimmelkram« könnte frau sagen (das Wort fand ich kürzlich in einer Kolumne von Donna Leon), wenn die Folgen nicht so verheerend wären.

Ich glaube, dass das Desaster nicht einfach aus politischer Instrumentalisierung herrührt, wie häufig gesagt wird. Vielmehr zeigt sich hier, wie fatal es ist, wenn Politik auf Prinzipien statt auf Beziehungen gegründet wird. Dann nämlich fällt man in das Dilemma zwischen Rechthaberei und Relativismus. So wie der dänische Ministerpräsident: Als die ersten Kritiken an den Karikaturen laut wurden, hat er erstmal jede Debatte verweigert – in seinem Land herrsche Pressefreiheit, da gebe es nix zu diskutieren. Als dann die Krawalle losgingen, knickten er und der Westen ein und man eiert seither lauwarm herum. Mit der Folge, dass die Pressefreiheit nun tatsächlich zur Disposition steht! Anstatt hinzugehen und zu sagen: Ja, wir finden die Meinungsfreiheit gut und auch, dass man bei uns Witze über die Religion machen darf – und wir würden euch gerne erklären, warum! Ich bin überzeugt, dass das Problem vor allem darin liegt, dass niemand wirklich in erster Person diskutiert und argumentiert, sondern alle sich hinter abstrakten »Prinzipien« und »Werten« verstecken. Mir ist sehr eindrücklich das Plädoyer eines Londoner Imams in Erinnerung geblieben, der sagte: »Irgend jemand muss für diese Vorgänge Verantwortung übernehmen.« Genau das ist der Punkt.

Verantwortung übernehmen, das heißt, persönlich in die Diskussion zu gehen mit dem Ziel, andere überzeugen zu wollen und sich damit auch der Kritik auszusetzen (und zu riskieren, dass man selbst am Ende diejenige sein könnte, die überzeugt wurde). Aber das ist in der Tat eine Alternative zum Relativismus. Denn es ist eben nicht jede Meinung gleich richtig. Ich werde mich jedenfalls mit allen, die der Auffassung sind, über Religion dürfte man keine Witze machen, weiterhin heftig streiten.

Auf die notwendige Unterscheidung zwischen Relativismus und Relativität hat kürzlich auch Luisa Muraro hingewiesen, ich habe einen kurzen Textabschnitt daraus übersetzt und auf meine Startseite gestellt: antjeschrupp.de

Mit der Bedeutung der persönlichen Vermittlungsarbeit in politischen Prozessen beschäftige ich mich in folgendem Aufsatz: antjeschrupp.de/politik-verkoerpern-buch-ina. Er ist in dem Buch »Sich in Beziehung setzen. Zur Weltsicht der Freiheit in Bezogenheit« erschienen. Dazu gibt es am 24./25. März in Wien einen Workshop mit Ina Praetorius, Michaela Moser, Maria Katharina Moser und mir. Genaues Programm unter antjeschrupp.de/ankuendigungen. Mehr auch unter antjeschrupp.de/bezogenheit bzw. im nächsten Newsletter.

2. Komplexe Wertedebatte

Wie komplex die Diskussion über Werte ist, zeigen auch einige neue Bücher. Zwei davon habe ich für die Frankfurter Rundschau rezensiert: »Das Kreuz mit den Werten« von Dilek Zaptcioglu und Jürgen Gottschlich (über die verschiedenen/ähnlichen Werte von Deutschland und Türkei) sowie »Islam im Klassenzimmer«, eine von Sanem Kleff herausgegebene Materialsammlung.

http://www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/das_politische_buch/?cnt=800404& Weitere Rezensionen: antjeschrupp.de/rezensionen

3. Zukunft der Frauenbewegung

Mein Büchlein zur »Zukunft der Frauenbewegung« zirkuliert weiter fröhlich durch die Lande. Rund um den Internationalen Frauentag im März haben mich Fraueninitativen in verschiedenen Städten zu dem Thema eingeladen, sodass es Gelegenheit gibt, gemeinsam daran weiterzudenken. Eine meiner Kapitelüberschriften – »Frauen können alles, aber was wollen sie?« – ist sogar zum Tagungsthema geworden, und zwar in der Evangelischen Akademie Baden, wo ich zusammen mit Ingeborg Gleichauf, Frigga Haug, Annette Hug und Thomas Gesterkamp über die »Frauenbewegung zwischen Abgesang und Erfolg« diskutieren werde.

Auch inhaltlich hat sich das Thema mit Erscheinen des Buches für mich natürlich nicht erledigt, sodass meine Vorträge etwas anders aussehen werden, als die im letzten Jahr. Vor allem will ich versuchen, die Bedeutung der weiblichen Freiheit konkreter auf bestimmte Politikfelder zu beziehen – das ist nämlich häufig so, sobald eine Theorie oder eine Idee erst einmal da und ausgesprochen ist, passieren in der Realität lauter Dinge, die dazu zu passen und diese illustrieren (falls nicht, müsste die Idee natürlich überdacht werden ☺) Außerdem beschäftigt mich zur Zeit die Frage nach dem Verhältnis zwischen Geschlecht und Generation – in einem neuen Buch über den »Third Wave Feminism« in den USA (hrsg. von Stacy Gillis u.a.) habe ich die These gelesen, dass sich junge Frauen heute eher über die Generation, der sie angehören, definieren, als über ihr Geschlecht. Ist das so? Ich bin noch unentschlossen.

Hier sind die Vortragstermine – vielleicht eine Gelegenheit, sich mal »live« zu begegnen? Ich würde mich freuen:

  • Montag, 6. März, Dresden, Frauenbildungszentrum, Oskarstraße 1, 19 Uhr

  • Dienstag, 7. März, Ansbach (bei Nürnberg), Onoldia-Tagungszentrum, Nürnberger Str. 30, 19.30 Uhr

  • Donnerstag, 9. März, Offenbach, Stadtbibliothek, Herrnstr. 84, 20 Uhr

  • Mittwoch, 15. März, München, Frauenstudien, Baumstr. 8 (Rückgebäude), 20 Uhr

  • 17.–19. März, Bad Herrenalb (bei Karlsruhe), Ev. Akademie Baden, Dobler Str. 51, http://www.ev-akademie-baden.de/f_prog.htm

Mehr zum Büchlein: antjeschrupp.de/frauenbewegung-einleitung