Antje Schrupp im Netz

Newsletter vom 20.10.05

1. Bullenschiss

Das Problem an den Leuten, die im Fernsehen gezeigt werden, sei, dass sie sowieso alle lügen? Von wegen. Ein kleines Büchlein des US-amerikanischen Philosophen Harry G. Frankfurt belehrt uns eines Besseren. Auf extrem witzige, weil vollkommen trockene und akademische Art zeigt er in dem Traktat, dass heutzutage nicht so sehr das Phänomen der Lüge, sondern des »Bullshittings« grassiert: Des sinnfreien Geblubbers und Blasenwerfens. Während das Lügen immer noch einen Bezug zur Wahrheit hat (insofern es nämlich ihr Gegenteil ist), sind Wahr und Falsch für das Bullshitting überhaupt keine Kriterien mehr. Was zählt, ist allein das Image, der Eindruck, der entstehen soll, das Wecken von hirnausgeschalteten Reaktionen mittels sinnfreier Rede. Eine interessante Erklärung ist das vielleicht für Angela Merkels medialen Misserfolg. Sie kann das mit dem Bullshitten nicht so besonders gut – es sei auch eine historisch eher männliche Angelegenheit, meint Frankfurt: Was für die Herren traditionell der Bullenschiss, ist für Damen das Hennengegacker. Leider gibt es das lesenswerte Büchlein nur in Englisch (es ließe sich auch schwer übersetzen), man kann es sich aber zum Beispiel über Amazon aus Amerika schicken lassen.

Harry G. Frankfurt: On Bullshit. Princeton University Press, 2005. Eine Rezension aus der taz findet Ihr unter: http://www.taz.de/pt/2005/08/09/a0191.nf/text.

2. Herbsttreffen der Medienfrauen

Wenn jemand etwas gegen das grassierende »Bullshitting« unternehmen kann, dann sind es ja wohl die Leute, die in den Medien arbeiten… Ich hoffe deshalb, es gibt Gelegenheit, das Thema auch beim Herbsttreffen der Medienfrauen aus ARD und ZDF mit Kolleginnen zu diskutieren. Dieses traditionelle Treffen hat das Thema »In der Welt zu Hause« und findet diesmal bei der Deutschen Welle in Köln statt. Mit zahlreichen interessanten Workshops und Vorträgen – unter anderem auch einem von mir zum Thema »Solidarität, Konkurrenz, Feminismus – oder was?« über das Verhältnis der Generationen unter Journalistinnen.

28. Herbsttreffen der Medienfrauen von ARD und ZDF, 11.–13.November, Infos unter www.medienfrauentreffen.de

3. »Boxcar« Bertha Thompson

»Die Reichen können Globetrotter werden, aber wer kein Geld hat, wird Hobo«: 15 Jahre lang ist Bertha Thompson als blinde Passagierin auf Güterzügen durch das krisengeschüttelte Amerika der 20er und 30er Jahre gezogen. Sie jobbt als Haushälterin und als Hure, liebt wechselnde Männer und engagiert sich für die Rechte der Landstreicher, der »Hobos«. Ihre zutiefst unbürgerliche Sicht zeigt eine ungewohnte Seite von Amerika. Wie ihre Mutter ist Bertha Thompson davon überzeugt, dass »wir niemals beschämt werden können, weil es nichts gibt, was wir als Schande gelten lassen.« Martin Scorsese hat diese weibliche Freiheit (wie ja viele Männer in den siebziger Jahren) allerdings sehr missverstanden und Bertha Thompson 1972 in seinem Film »Die Faust des Rebellen« als laszive Lolita im Negligé inszeniert. In Wahrheit war sie aber »wie ein Brauereigaul gebaut« (Selbstaussage). Mein Porträt über diese schillernde Landstreicherin und Anarchistin läuft am 18. November in der Reihe »Starke Frauen« im WDR-Hörfunk – danach steht das Manuskript dann auch auf meiner Internetseite.

»Boxcar« Bertha Thompson, Eisenbahntramp. In der Sendung »Neugier genügt« am Freitag, 18. November, WDR 5, 11.30 Uhr. Zum Weiterlesen: Boxcar Bertha. Eine Autobiographie, aufgezeichnet von Ben. L. Reitman, rororo, 1996.

4. Religion und Moderne

Hilfe, alles wird modern und neumodisch – also flugs zurück zu den alten Werten, an denen man sich festkrallen kann. Dieses Muster lässt sich derzeit nur allzu häufig beobachten, bei Linken wie bei Rechten, bei Kritischen wie bei Unkritischen, bei Klugen wie bei Dummen. Bei den eigentlich Klugen ist dies aber besonders ärgerlich, denn ihre Modernitätskritik hat ja immer auch einen wahren Kern. Unter diese Kategorie fällt auch das neue Buch des Heidelberger Theologen Klaus Berger, das ich für die Beilage der FR zur Buchmesse rezensiert habe. Der Text steht auch im Internet:

www.fr-aktuell.de/ressorts/kultur_und_medien/das_politische_buch/?cnt=742868

5. Islamunterricht

Noch immer gibt es keinen Islamunterricht an hessischen Schulen (und auch in den meisten anderen Bundesländern gibt es bisher nur Notlösungen) – obwohl Religionsunterricht im Grundgesetz eigentlich garantiert ist. Dazu habe ich jetzt einen kurzen Kommentar geschrieben. Hintergrundinfos dazu aus praktischer Perspektive liefert ein aktuelles Buch, das vor allem für Lehrerinnen und Lehrer interessant sein dürfte. Dabei geht es nicht nur um den Religionsunterricht, sondern um die kulturellen Differenzen, die im Schulalltag auftreten können (das berühmte »Mädchen-und-Schwimmunterricht«-Thema). Dazu demnächst noch mehr auf diesen Seiten.

Der Kommentar steht unter antjeschrupp.de/islamunterricht im Internet. Zum Lesen: Sanem Kleff (Hg): Islam im Klassenzimmer. Impulse für die Bildungsarbeit, Hamburg 2005.

6. Noch mal Maria

»Die biblische Mutter Maria« ist das Thema eines Vortrags, den ich im November in der Reihe »Donnerstagsvorträge« des Frankfurter Diakonissenhauses halte. Er baut auf einer Predigt auf, die bereits im Internet steht. Vielleicht ist ja jemand von euch in der Gegend….

Vortrag am Donnerstag, 10. November, 15 Uhr, im Diakonissenhaus Frankfurt am Main, Eschersheimer Landstraße 122. antjeschrupp.de/maria