Antje Schrupp im Netz

Feministische Aspekte in der Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen

Eigentlich haben wir schon ein Grundeinkommen. Dass alle Menschen genug zum Leben haben sollen, darüber besteht in Deutschland ein breiter Konsens: Wenn es jemand partout nicht schafft, selbst für sich zu sorgen, gibt es Geld vom Staat. Früher war dies die Sozialhilfe, heute ist es Hartz IV.

Nichts anderes steht hinter dem Vorschlag eines bedingungslosen Grundeinkommens. Nur dass die Idee dabei konsequent zu Ende gedacht wird. Denn, Hand aufs Herz: Wer kann denn schon allein für sich sorgen? Wir alle sind doch von anderen abhängig; zuerst von unseren Eltern, dann von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, von einer guten Infrastruktur, von der Arbeit und der Zuwendung anderer. „Wir leben alle von Sozialhilfe“, bringt es die US-amerikanische Philosophin Martha Fineman auf den Punkt.

„Bedingungslos“ sorgt für den Unterschied

Das Neue am bedingungslosen Grundeinkommen ist nicht, dass es allen Menschen ein Mindesteinkommen garantiert. Neu ist, dass es die Illusion vom autonomen Individuum verabschiedet, das nur ausnahmsweise auf Hilfe von anderen angewiesen ist. Wenn es autonome Selbstversorger*innen sowieso nicht gibt, kann die Sozialhilfe auch gleich unbürokratisch und bedingungslos ausgezahlt werden.

Einhergehend mit diesem Paradigmenwechsel wäre die Veränderung im Geldbeutel für die allermeisten Menschen nur gering: Da auch die Wohlhabenden ein Grundeinkommen bekämen, müssten diese entsprechend mehr Steuern und Abgaben zahlen; unterm Strich bliebe für sie das verfügbare Budget gleich. Und wer über kein oder wenig Einkommen verfügt, würde mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auch nicht plötzlich reich. Es fielen lediglich die heutigen Schikanen und Kontrollen sowie die soziale Stigmatisierung als Versager oder Versagerin weg.

Hoffnung auf neue Freiräume

Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen könnten aber auch Freiräume für ökonomische Experimente jenseits des Kapitalismus entstehen. Arbeit hat ja nicht nur mit Geldverdienen zu tun, sondern auch mit Sinn und Erfüllung, mit Gestaltungswillen, mit der Verwirklichung eigener Ideen für und in dieser Welt. Dass man bei der Wahl dessen, was man den ganzen Tag über tun möchte, nicht ausschließlich ans Geld denken muss, ist ein Luxus, den sich heute nur Reiche und Gutverdienende leisten können. Wer Hartz IV bekommt, kann davon nur träumen. Um Repressalien zu entgehen, muss er oder sie jeden Job annehmen. Sinnhaftigkeit und persönliche Interessen spielen dabei keine Rolle, der Erhalt der Grundsicherung ist das Einzige, was dann zählt.

Ist der Paradigmenwechsel unausweichlich?

Das Grundeinkommen löst diese enge symbolische Verknüpfung von Geld-Bekommen und Tätig-Sein auf. Feministische Ökonominnen weisen schon lange darauf hin, dass das Bruttosozialprodukt nur einen Teil des wirtschaftlichen Geschehens abbildet. Der größte Teil der Arbeiten wird schon immer und so auch heutzutage unentgeltlich geleistet, in Privathaushalten, im Ehrenamt und in Form der Subsistenzarbeit . Angesichts des demografischen Wandels wird der Bedarf danach zukünftig eher noch steigen.

Sicher, manche dieser Tätigkeiten könnten aus der traditionell unbezahlten in die bezahlte Sphäre des Marktes transferiert werden. Teilweise geschieht das auch schon, z. B. bei der Betreuung kleiner Kinder, beim Putzen, beim Zubereiten von Mahlzeiten. Aber der betriebswirtschaftliche Blick auf solche „Care-Arbeiten“ verbessert nicht unbedingt ihre Qualität. Und auch die Einkommen und Arbeitsbedingungen sind dort nicht gerade rosig.

Was aber noch viel wichtiger ist: Der kapitalistische Markt ist immer weniger in der Lage, diese gesellschaftlich notwendigen Arbeiten sicherzustellen. Kleine Krankenhäuser schließen ihre Geburtsstationen, weil sie sich „nicht rechnen“. Pflegeheime und Krankenhäuser sind chronisch unterfinanziert, was zu menschenverachtenden Situationen führt, für die Pflegebedürftigen ebenso wie für die Pflegekräfte. Schultoiletten sind chronisch verdreckt. Immer mehr Menschen essen industriell zubereitete, ungesunde und nicht einmal gut schmeckende Mahlzeiten. Klar, theoretisch könnte hier durch andere politische Entscheidungen mehr Geld ins System gebracht werden. Aber es handelt sich dabei um solche Beträge, dass die Hoffnung darauf deutlich utopischer als die Finanzierung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist. Für das Marktversagen im Bereich der Care-Arbeit ist derzeit weit und breit keine Abhilfe in Sicht.

Eine Gesellschaft mit neuen Spielräumen

Natürlich wäre ein bedingungsloses Grundeinkommen keine Garantie dafür, dass alle Dinge besser laufen. Es gäbe aber immerhin etwas Raum für ökonomische Experimente – auch jenseits des kapitalistischen Marktes. Menschen könnten sich in Genossenschaften oder Vereinen organisieren, sie könnten ehrenamtlich tätig werden, mehr direkt für sich selbst oder ihre Angehörigen arbeiten und weniger Arbeit „outsourcen“. Denn ihre soziale Existenz wäre dann nicht mehr ausschließlich von ihrer Erwerbsarbeit abhängig. Zu behaupten, wie es manche linke Kritiker*innen des Grundeinkommens tun, soziale Einbindung und gesellschaftliche Teilhabe für arme und arbeitslose Menschen ließe sich nur durch einen Zwang zur Erwerbsarbeit herstellen, halte ich für zynisch.

Aber nicht nur für die, die keinen Erwerbsarbeitsplatz haben oder haben wollen, würden sich neue Optionen erschließen. Auch die Erwerbstätigen hätten mehr Möglichkeiten. Aufgrund des Wissens, dass ihnen ein Grundeinkommen sicher ist, könnten sie mutiger mit ihren Arbeitgebern verhandeln. Sie wären nicht mehr gezwungen, jegliche Zumutungen und Ansprüche hinzunehmen, sie könnten auch einmal „Nein“ sagen. Arbeitsbedingungen ließen sich auch so verbessern. Und die Politik müsste Konzernen und Unternehmen nicht mehr in allen Belangen entgegenkommen, nur weil diese damit drohen, bei Nichterfüllung Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern. An dieser Stelle verbindet sich die Idee des Grundeinkommens auch mit anderen alternativen ökologischen und ökonomischen Ansätzen wie Degrowth oder Commons

Die Grenzen des bedingungslosen Grundeinkommens

Gleichzeitig ist das bedingungslose Grundeinkommen natürlich keine Eier legende Wollmilchsau, die sämtliche Probleme unserer Welt löst: Auch mit Grundeinkommen wird es Menschen geben, die nichts mit sich anzufangen wissen. Auch mit Grundeinkommen werden sich die Geschlechterhierarchien nicht in Luft auflösen. Auch mit Grundeinkommen werden manche Menschen reich und viele andere arm sein.

Und tatsächlich gibt es auch neoliberale Varianten des Grundeinkommens, die sich damit von jeder weiteren sozialen Verantwortung freikaufen möchten. Dies widerspricht aber der grundlegenden Idee, die hinter einem emanzipatorischen Grundeinkommen steht: Dieses deckt ja nur das ab, was wir alle qua Menschsein brauchen. Individuelle Bedürfnisse, die etwa durch Krankheit, Alter oder anderweitige Schwierigkeiten entstehen, können damit logischerweise nicht gedeckt werden. In diesen Fällen müssen die betroffenen Menschen von der Allgemeinheit zusätzlich unterstützt werden; dann aber eben nicht bedingungslos, sondern bedarfsorientiert. Aus denselben Gründen wären im Übrigen auch die Haus- und Fürsorgearbeit keineswegs mit dem Grundeinkommen abgedeckt. Die „Bedingungslosigkeit“ des Grundeinkommens bedeutet nämlich auch, dass sich daraus keine Verpflichtung ergibt, zum Beispiel für kranke Angehörige zu sorgen. Auch nicht für Frauen.

Doch wie hoch soll denn nun das Grundeinkommen sein? 600 Euro? 1000 Euro? 1500 Euro? Die Höhe lässt sich nicht so einfach beziffern, weil sie von vielen Faktoren abhängt: Wenn man im Krankenhaus kostenlos behandelt wird, braucht das Grundeinkommen keine Beiträge für die Krankenversicherung enthalten. Kann man den öffentlichen Nahverkehr gratis nutzen, fielen keine Mobilitätskosten an. Wenn das Grundeinkommen aus einer höheren Mehrwertsteuer bezahlt würde, würden viele Alltagsprodukte teurer werden. Das Grundeinkommen müsste dann entsprechend höher als bei anderen Finanzierungsarten ausfallen etc.

Offensichtlich ist aber, dass Deutschland reich genug ist, um die materielle Existenz aller Menschen, die hier leben, sicherzustellen. Die Frage ist also eigentlich, ob wir das denn wirklich wollen: Wollen wir den Sinn des Menschseins vom Zwang zum Geldverdienen lösen? Wollen wir uns vom Idealbild des autonomen Selbstversorgers bzw. der autonomen Selbstversorgerin trennen und uns unsere gegenseitige Abhängigkeit eingestehen, auch materiell? Wollen wir unsere Vorstellung von Ökonomie breiter fassen, als dies der geldvermittelte Markt erlaubt? Das sind die dicken Brocken, die zu diskutieren sind. Doch wenn wir all dies wirklich wollen, wird sich für die Umsetzung ein Weg finden.