Antje Schrupp im Netz

Gott, das Böse und wir

Interview mit der brasilianischen Theologin Ivone Gebara

Bild »Gott, das Böse und wir« – das Thema der lange geplanten Veranstaltung im Frauenstudien- und -bildungszentrum der EKD in Gelnhausen mit Ivone Gebara, Ordensfrau, Theologin und Philosophin aus Brasilien war aufgrund des Irak-Krieges unerwartet aktuell. Denn viele reden derzeit vom Bösen, ob sie es nun bei Saddam Hussein und islamischen Terroristen ausmachen, oder bei Präsident Bush und den US-amerikanischen Machtansprüchen. Das eine sei so falsch wie das andere, meint Ivone Gebara.

Ivone Gebara: Die emotionale Ebene dieses Krieges, die emotionale Interpretation des Ganzen bringt uns leicht dazu, zu behaupten: Bush ist ein Teufel. Aber wenn Bush der Teufel ist, wer sind wir dann? Sind wir Gott oder einfach nur Menschen oder vielleicht Engel? Also, diese emotionale Ebene führt uns nirgendwo hin.

Mit der Frage nach dem Bösen hat sich Ivone Gebara in den letzten Jahren ausführlich beschäftigen können. Wegen ihrer befreiungstheologischen und feministischen Schriften war die langjährige Professorin am Theologischen Institut von Recife 1995 von Rom mit einem zweijährigen »Bußschweigen« bestraft worden. Die Zeit nutzte sie, um eine Doktorarbeit zu schreiben, in der sie zeigt, dass das Böse niemals unabhängig von den Lebensumständen und Einstellungen derjenigen existiert, die davon reden. Konkret: Die Mächtigen tendieren dazu, alles das als Böse zu identifizieren, was ihren eigenen Interessen widerspricht, die Armen und Ohnmächtigen interpretieren es oft als Übermacht, gegen die sie nur vorgehen können, wenn sie zumindest Gott an ihrer Seite wissen – eine Argumentation, die sich auch in der gegenwärtigen christlichen Friedensbewegung wiederfindet, wenn das eigene politische Engagement mit Sätzen begründet wird wie: »Krieg darf nach Gottes Willen nicht sein« oder Gott sei für den Frieden.

Ivone Gebara: Ich ziehe es vor, nicht vom Frieden Gottes zu sprechen, denn dieser Friede im Namen Gottes ist instrumentalisiert worden, von Christen genauso wie von Juden und von Muslimen. Stattdessen sollten wir von dem Frieden sprechen, der in unseren Herzen wohnt, von dem Frieden, den wir brauchen, um gerecht und in Würde zu leben, und das fängt damit an, dass wir uns als Menschen mit unterschiedlichen Ethnien, Kulturen und Geschlechtern respektieren. Wir brauchen den Frieden, aber wir müssen ihn nicht als Frieden Gottes bezeichnen. Denn wenn ich das tue, muss ich sofort erklären, welcher Gott denn gemeint ist und welche Art von Frieden, und warum ich sage, dass mein Frieden von Gott gewollt ist, wo doch auch die die islamischen Fundamentalisten oder die jüdischen Zionisten vom Frieden reden.

Eine »Theologie des Schweigens« nennt Ivone Gebara das. Im politischen Diskurs nicht von Gott zu reden, sondern nur von den eigenen Verantwortlichkeiten und Überzeugungen. Dahinter steht ein radikal anderes Gottesbild als das Gewohnte: Gott sei eben kein Super-Präsident, der den Menschen Anweisungen gibt, was sie tun und lassen sollen, so Gebara. Gott sei überhaupt nichts Externes, auf das die Menschen sich berufen können. Aber woher soll man dann wissen, was richtig und falsch ist? Woher kommen die ethischen Kriterien und Maßstäbe, wenn nicht von Gott?

Ivone Gebara: Es ist interessant, sich dazu die prophetischen Texte noch einmal anzuschauen,und die ethische Erfahrung wiederzuentdecken, die dort zum Ausdruck kommt. Der Respekt für die Armen, für die Waisen, für die Witwen, der Lohn der Arbeiter, die Verteilung der Güter. Ich glaube, dass es einen Ausweg gibt, und der besteht darin, von unserem konkreten Verhalten auszugehen und uns davon leiten zu lassen. Das Christentum ist eine Sinn-Gemeinschaft, die in der eigenen Tradition nach ethischen Maßstäben sucht und darin Inspiration findet. Und nicht mehr.

Also kein Gott an unserer Seite, auf den wir uns berufen können. Keine Glaubenssätze und Gottesworte, die das Christentum ausmachen. Sondern nur die gemeinsame Überzeugung, dass ein ethisches Handeln notwendig ist, das sich am Nächsten orientiert und am Gemeinwohl. Die Menschen selbst müssen zu ihren Worten und Taten stehen und die Verantwortung dafür übernehmen und sie können sich dabei nicht hinter Gott verstecken. Denn Gott sei keiner, der für die einen oder anderen Partei ergreift, der Sieger und Opfer unterscheidet, sagte Ivone Gebara in Gelnhausen – eine Herausforderung, nicht nur für die Mächtigen in Kirche und Politik, sondern auch für die Friedensbewegten und alle, die für eine bessere Welt eintreten und dabei Gott an ihrer Seite glauben. Und doch sieht sich Gebara durch die gegenwärtige Entwicklung bestätigt: Denn nicht theologische Überzeugungen oder Gottesbilder sind es schließlich, die die Christinnen und Christen in aller Welt derzeit mit einer Stimme sprechen lassen, sondern eine politische, eine ethische Aussage: gegen den Krieg.


Radiosendung in hr1 am 13.4.2003