Antje Schrupp im Netz

Differenzphilosophie in der Praxis – Die Politik der Beziehungen in meinem (Berufs)Alltag

Materialsammlung

Frauen können sich selbst als die »besseren Menschen« fühlen, wenn sie mit anderen Frauen über die »unsinnigen Hierarchien« der Männer lästern, über deren Geltungsdrang und Selbstinszenierungen. Gleichzeitig verstärken sie durch solche Gespräche füreinander das Verbot, selbst einmal aus der Gleichheit heraus- und in eine höhere Position aufzusteigen. Es bringt ebenfalls Entlastung, wenn Frauen sich lustig machen können über die Versuche von Männern, Frauen gegeneinander auszuspielen, indem diese die einen auf- und andere abwerten. Damit können Frauen zwar in der Phantasie ihre real erlebte Ohnmacht gegenüber patriarchalen Institutionen und der Dominanz männlicher Bewertungen kompensieren, sie können sich aber nicht darauf verlassen, von anderen Frauen unterstützt zu werden, wenn sie sich autorisieren, gegen die patriarchalen Vorstellungen und Bewertungen ihre eigenen durchzusetzen. (Dorothee Markert: Wachsen am Mehr anderer Frauen, S. 123)

Wenn eine Frau von der Freiheit als einem weit entfernten Ziel spricht, von dem uns Hindernisse aller Art trennen – und dann die Männer hervorzieht, die anderen Frauen, die Nachbarinnen, ihre jeweiligen Lebensumstände, oder – wenn sie ihren Worten den Anschein größerer Objektivität verleihen möchte – die Institutionen, den Kapitalismus… dann erklärt sie in den meisten Fällen mit diesen Ohnmachtserklärungen nichts anderes als ihre Unfähigkeit, einer anderen Frau Autorität zuzuerkennen. Sie ist nicht fähig, der elementarsten Beziehung, die sie in Bezug auf die Gesellschaft definiert, nämlich der Beziehung zur anderen Frau, Wert zuzuerkennen, und so zeigt ihr die Gesellschaft Verachtung. Sie ist nicht fähig, sich vorzustellen, dass eine andere Frau Autorität besitzt, und so ist sie unglücklich darüber, keine Autorität zu besitzen. Was sie sagt, stimmt alles, denn die äußere Realität spiegelt ihr immer wieder das Urteil zurück, das sie in ihrem Inneren schon ausgesprochen hat. Das, was eine Frau denkt und will, hat keinen Wert. (Wie weibliche Freiheit entsteht, S. 179f)

Unter weiblicher Freiheit im sozialen Sinn verstehe ich einen Ort, an dem jede Art von Begehren einer Frau von anderen Frauen autorisiert wird, also eine weibliche Autorisierung bekommt. Autorisierung heißt nicht notwendigerweise, dass dieses Begehren gut ist, es heißt, dass es ein sagbares Begehren ist, sogar wenn es politisch gesehen ein schauerliches Begehren und beispielsweise nur von Aufstieg und Karrierismus bestimmt ist. Autorisierung bedeutet Sagbarkeit, Daseindürfen, Abwesenheit von Moralismus und Scham, keine Deutung nach dem Männlichen, keine Aussagen wie: »Du bist ein Mann, mach es wie ein Mann«. Das ist die Autorisierung, später brauchen wir dann natürlich auch einen Maßstab, aus dem sich Einschränkungen und Urteile ergeben. (Luisa Muraro: Ein authentisches Selbstbewusstsein… in Markert: Wachsen am Mehr andere Frauen, S. 105)

Da Frauen sich so wenig auf ihre eigenen Erfolge und die anderer Frauen beziehen, wissen wir nur wenig über den tatsächlichen Einfluss von Frauen in der Welt. Wir unterschätzen daher auch unsere Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, und überschätzen die Macht derer, die bisher »das Sagen« haben (oder hatten). Wo wir denen, die Macht haben, automatisch auch Autorität zusprechen, vor allem wenn sie Männer sind, sind wir daran beteiligt, ihre Macht aufzuwerten und damit zu festigen (Dorothee Markert: Wachsen am Mehr anderer Frauen, S. 125)

Seit vielen Jahren schon nähren mich Beziehungen, von denen ich nicht zu sagen wüsste, ob es sich um Freundschaft, Liebe oder Politik handelt: In immer neuen Gruppierungen organisieren wir, die wir zum Beispiel »Weiberwirtschaft« oder »Gutesleben« nennen, Kongresse oder Tagungen, Wochenendtreffen und Mailinglisten. Wir sind keine Partei und kein Institut, aber wir streiten und versöhnen uns, kochen füreinander, denken und schreiben zusammen Texte und bringen sie an die Öffentlichkeit, halten Reden, erzählen uns von unseren Reisen, bleiben einander auch im Konflikt verbunden und erfinden neue Formen des Zusammenlebens. Warum sollte ich nicht uns selbst, die wir durch politische Liebe miteinander verbunden sind, zutrauen, dass wir die Welt bewegen? (Ina Praetorius: Handeln aus der Fülle, S. 191).

Es ist wichtiger, Lehrmeisterinnen zu haben, als anerkannte Rechte zu besitzen. Eine Frau braucht eine positive weibliche Autorität, wenn sie ihr Leben in einem Entwurf der Freiheit leben und darauf ihr Frausein gründen will. Der weibliche Geist ohne symbolischen Bezugsrahmen ist furchtsam. Er findet sich unvorhersehbaren Ereignissen ausgeliefert – alles stürzt von außen auf den Körper ein. Aber Sicherheit bekommt eine Frau nicht durch Gesetze und nicht durch Rechte. Unverletzbar wird eine Frau, wenn sie ihre Existenz von sich selbst ausgehend entwirft und innerhalb sozialer weiblicher Lebenszusammenhänge Stabilität gewinnt. … Nachdem wir all dies gesehen und durchdacht haben, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass die Beziehung des Affidamento zwischen zwei Frauen eine politische Frage ist. …. Besonders ausschlaggebend war für uns die Entdeckung, dass das Affidamento zwischen Frauen spontan entsteht, seine Potenz aber kaum bewusst wahrgenommen wird. (Wie weibliche Freiheit entsteht, S. 25f)

Wir können den Lauf der Geschichte nicht bis vor die Zeit zurückdrehen, die unsere Differenz vom Mann als Minderwertigkeit gedeutet hat. Zu jenem Vorher können wir aber im Geist gelangen, und seine Konsequenzen können wir in der Gegenwart verwirklichen. Wir wollen nicht, dass die weibliche Freiheit – unsere Freiheit und die der anderen Frauen – von den Fortschritten einer Kultur abhängig ist, die sich seit Urzeiten von der Verachtung unseres Geschlechts nährt. Wir werden es umgekehrt machen. Wir binden uns in einem Pakt der Freiheit an die anderen Frauen und über die anderen Frauen an die Welt, und von dort aus, wo uns eine freie Existenz in der Gesellschaft garantiert ist, werden wir tun, was noch zu tun ist, damit die Gesellschaft von der Verachtung des weiblichen Geschlechts frei werde. Die Politik der sexuellen Differenz kommt nicht nach der Verwirklichung der Gleichheit zwischen den Geschlechtern, sondern sie ersetzt die Politik der Gleichberechtigung, die zu abstrakt und oft widersprüchlich ist. Sie bekämpft jede Form der sexistischen Unterdrückung vom Ort der weiblichen Freiheit aus, die über soziale Beziehungen zwischen Frauen erobert und aufgebaut wurde. (Wie weibliche Freiheit entsteht, S. 176f)

In der Beziehung des Affidamento gibt eine Frau einer anderen Frau einen Maßstab für das, was sie kann und was in ihr zur Existenz gelangen will. Die weibliche Differenz will nicht beschrieben werden. Um zu existieren, braucht sie Vermittlung, damit sie aus sich selbst heraustreten und ihrerseits Vermittlerin werden kann, in einem Kreislauf unbegrenzter Potenz. Die Beziehung des Affidamento setzt diese Befreiung weiblicher Energien in Gang. Es beginnt mit einer Beziehung zwischen zweien, aber es ist keine Zweierbeziehung, wir sehen, dass sei sich bald verzweigt; andere Beziehungen entstehen, angeregt durch die neue Möglichkeit, die Ganzheit des eigenen Menschseins, den weiblichen Körper und weiblichen Geist, ins Spiel zu bringen. (Wie weibliche Freiheit entsteht, S. 182f)

Auch Konflikte können Wegweiser sein, die uns Orientierung in unserem Leben geben. In diesem Sinne ist Konfliktklärung Theoriearbeit im Hinblick auf politische Arbeit. … Während beim Benennen eines Konflikts der Konflikt im Mittelpunkt steht und dabei meist auch das Ich, das gekränkt und verletzt wurde und nun Recht bekommen muss, betrachten wir aus dieser Perspektive den Konflikt als Zeichen der Welt, das wir nutzen können, wenn wir seine Bedeutung verstanden haben. Denn da ich selbst ein Teil de Welt bin, ist auch mein Gefühl des Unbehagens ein Schlüssel, um mehr über die Welt zu erfahren. (Dorothee Markert: Wachsen am Mehr anderer Frauen, S. 134).

Statt Frauen zu befähigen, ihr Leben zu verändern und damit ihre Umgebung zu einer Veränderung zu zwingen (oder zu animieren), erfüllten die Frauengruppen nach einer anfänglich »politischen« Phase zunehmend die Funktion, die die Beziehungen unter Frauen auch sonst in der Gesellschaft hatten: Sie machten den Frauen ihr sonstiges Leben erträglicher, indem sie für einen Ausgleich sorgten. Hier konnte über die Männer und die Männergesellschaft geschimpft werden, hier wurden Frauen bemitleidet und getröstet. … Unter der Überschrift »Frauensolidarität« wurde eine Beziehungsform unter Frauen weitergeführt und intensiviert, die die meisten Frauen schon als kleine Mädchen mit ihrer Mutter praktiziert hatten und die als »Frauenfreundschaft« auch unter erwachsenen Frauen üblich ist: Damit die Mutter all das bewältigen konnte, was in der Familie an Dienstleistungen erforderlich war, musste sie selbstverständlich über die Arbeitskraft des kleinen Mädchens mitverfügen. Sie (miss)brauchte ihre Tochter auch als verständnisvolle Komplizin in Gespräche, in denen über die Männer geklagt und geschimpft werden durfte. (Dorothee Markert: Wachsen am Mehr anderer Frauen, S. 121)

Jane Austen lehrt uns, dass eine Frau, so sehr sie auch auf einen Mann wartet und in bestimmten Fällen auch warten muss – für das tägliche Brot und die Liebe, für ein Haus und Gesellschaft, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, Kinder zu haben – dass eine Frau wissen sollte, aus welchen Gründen auch immer sie auf einen Mann warten muss oder warten will, dass sie in Bezug auf einen grundlegenden wichtigen Punkt niemals von einem Mann abhängig sein kann: In Bezug auf ihr Selbstbewusstsein und auf die Fähigkeit, dort selbst zu urteilen, wo etwas sie persönlich angeht. (Luisa Muraro: Ein authentisches Selbstbewusstsein… in Markert: Wachsen am Mehr andere Frauen, S. 98)

Manche Frauen glauben, dass es nötig ist, die Mutter anzugreifen, um ihr gegenüber autonom zu werden. Das kann der Sohn gegenüber dem Vater tun, dessen Platz er einmal einnehmen wird. Denn er greift nicht den Ursprung seines Lebens an. Für eine Frau ist das der falsche Weg, denn er löst Schuldgefühle aus, Angst vor der Vergeltung der Mutter, Selbstvorwürfe und Groll, und er eröffnet den Teufelskreis der Unfreiheit. Der richtige Weg ist dagegen der der Dankbarkeit. Dankbarkeit ist der Weg zu weiblicher Autonomie in der Beziehung zur Mutter. … Unsere Gesellschaft redet der jungen Frau ein, dass sie sich an den Mann wenden kann, um Freiheit zu gewinnen, und entbindet sie von der Dankbarkeit gegenüber der Mutter. Diese Befreiung ist eine Täuschung, denn die Frau wird ihren Mangel an Dankbarkeit ihr Leben lang mit Elementen der Unfreiheit bezahlen. (Luisa Muraro: Ein authentisches Selbstbewusstsein… in Markert: Wachsen am Mehr andere Frauen, S. 104)…

Für mich ist es das grundlegend Wichtige am Affidamento, dass ich im Rahmen einer Beziehung zu einer anderen Frau bestärkt werde, meinen eigenen Weg zu gehen, und dass sie mir dabei hilft, diesen Weg zu finden… Ein wichtiges Kennzeichen von Patriarchat ist, dass Frauen keine bedeutsamen Beziehungen untereinander haben. Jede stolpert allein in der Welt herum oder versucht den Wegen von Männern zu folgen, die gar nicht zu ihr passen. Beides ist schrecklich entmutigend. Patriarchat ist vor allem dort, wo wir dem, was andere Frauen uns sagen, keine Beachtung schenken, wo wir uns noch nicht einmal mit ihren Urteilen und Maßstäben, die sie unterwegs gefunden haben, auseinandersetzen (Dorothee Markert: Wachsen am Mehr anderer Frauen, S. 32)


Material zum Workshop: Differenzphilosophie in der Praxis – Die Politik der Beziehungen in meinem (Berufs)Alltag am 2.7.2009 in der VHS Wetzlar